Wer hat Angst vorm „Arbeitsplatzverweigerer“?
Es geht
um die Ansiedlung der Amazon GmbH auf den Parkplätzen der Messe, unmittelbar
neben Wohngebiet.
Inzwischen
habe ich mit einigen Lokalpolitikern, deren Namen ich nicht nennen möchte, über die
Angelegenheit persönlich gesprochen. Egal welcher Partei der jeweilige
Politiker angehörte und wo das Gespräch stattfand (beim Neujahrsempfang der Stadt, im Rathaus, vor oder hinter dem Rathaus, im Bauamt oder vor dem Annastift
oder auch bei der Aktion „101 Luftballons“), Eines wurde mir klar:
Jeder
Einzelne der angesprochenen Politiker hat Angst, Angst davor als „Arbeitsplatzverweigerer“ dazustehen. (Dieser Begriff „Arbeitplatzverweigerer“ stammt nicht von mir, dieses Wort haben einige
der Politiker, egal welcher Couleur, unabhängig vom anderen verwendet.)
Wenn ich
ehrlich bin, kann ich unsere Politiker auch gut verstehen. Mir ging es ja nicht
anders:
Ich wohne
in unmittelbarer Nähe der geplanten Ansiedlung des Distributionszentrums. Ich werde stark
betroffen sein, wenn dieses Hallen-Monstrum gebaut wird. Sei es wegen des
Verkehrs, verbunden mit Lärm, Feinstaub und die Gefahr für mein 2-jähriges Kind,
sei es wegen der Angst, das Grundwasser könne verschmutzt werden oder einfach
nur, weil ich „dort hinten“ nicht mehr so schön spazieren gehen kann.
Aber darf
ich wegen meiner Betroffenheit anderen den Arbeitplatz nehmen? Den Menschen,
die nicht so viel Glück gehabt haben wie ich und keine, bzw. nur eine schlechte
Ausbildung haben?
Ich
zauderte. Darf ich das? Ist das sozialverträglich? Sind meine Anliegen so
wichtig?
Ich habe
mich bemüht, nicht voreingenommen an die Sache heranzugehen. Also musste ich
sicher sein, dass es sich tatsächlich um die Amazon GmbH handelt, die ihr Zelt
(110.000 qm Distributionhalle) in Hannover aufschlagen will.
Ein
kurzer Anruf bei dem Investor Goodmann hat das schnell geklärt. Es ist die
Amazon GmbH!
Meine
Recherche begann. Was steht hinter Amazon? Was für Arbeitsplätze bietet dieses
Unternehmen? Sind das die Arbeitsplätze, die wir hier in Hannover brauchen? Wie
sieht es in den Betrieben aus?
Es ist
bekannt, dass die Amazon GmbH ihre Arbeitsverträge über die Dauer von 3 Jahren
bis zu 5 Mal befristet. Das hat nichts mit Saisongeschäften zu tun, sondern die Befristungen zählen bei der
Amazon GmbH zur Personalpolitik. Durch sie werden die Beschäftigten unter einen
enormen Leistungsdruck gesetzt. (siehe die ARD-Sendung Report Mainz vom
01.11.2011, im Internet abrufbar) Diese Praxis ist arbeitsrechtlich nur unter
bestimmten Vorraussetzungen zulässig, die bei Amazon kaum vorliegen dürften. Da
sich die Arbeiter aber nicht zu wehren wissen, nehmen sie die
Beendigung des Arbeitsvertrages einfach hin.
Des
Weiteren sollen Kündigungsfristen für Saisonarbeiter von einem Tag zum nächsten
vertraglich vereinbart werden. Wenn ein Saisonarbeiter also krank wird - sei es
auch nur für einen Tag – kündigt ihm die Amazon GmbH ordnungsgemäß und
fristgerecht zum nächsten Tag. Rechtlich kaum angreifbar aber moralisch sehr
fragwürdig.
Darüber hinaus teilt das Ministerium für Arbeit,
Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (SPD) auf seiner
Internetseite am 11.11.2011 mit:
“Wie jetzt über Medienberichte bekannt geworden ist, wendet der Internethändler Amazon offenbar skandalöse Praktiken bei der Beschäftigung von Aushilfen an. Demnach sollen Mitarbeiter für das Weihnachtsgeschäft zunächst einmal im Rahmen von betrieblichen Trainingsmaßnahmen in einem unbezahlten Probearbeitsverhältnis zwei Wochen lang entgeltlos eingesetzt werden. In dieser Zeit sollen die in der Regel arbeitslosen Betroffenen vom Jobcenter oder der Agentur für Arbeit, also von den Steuerzahlern, weiter bezahlt werden.
“Wie jetzt über Medienberichte bekannt geworden ist, wendet der Internethändler Amazon offenbar skandalöse Praktiken bei der Beschäftigung von Aushilfen an. Demnach sollen Mitarbeiter für das Weihnachtsgeschäft zunächst einmal im Rahmen von betrieblichen Trainingsmaßnahmen in einem unbezahlten Probearbeitsverhältnis zwei Wochen lang entgeltlos eingesetzt werden. In dieser Zeit sollen die in der Regel arbeitslosen Betroffenen vom Jobcenter oder der Agentur für Arbeit, also von den Steuerzahlern, weiter bezahlt werden.
"Es gibt berechtigten Zweifel daran, ob diese Praxis legal ist. Deshalb prüft mein Ministerium zusammen mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit derzeit die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens", betonte der nordrhein-westfälische Minister für Arbeit- und Soziales, Guntram Schneider. "Wenn sich dies bewahrheiten sollte, wäre das ein ungeheuerlicher Skandal. Doch eins steht jetzt schon fest: Selbst wenn das Ganze rechtlich abgedeckt sein sollte, wäre dieses Verhalten nicht akzeptabel. Es ist einfach nicht hinzunehmen, dass sich ein Unternehmen über diese Art der staatlich subventionierten Probebeschäftigung Wettbewerbsvorteile verschafft", so der Minister. Arbeit ohne Gehalt dürfe im 21. Jahrhundert nicht auf der Tagesordnung stehen und auch nicht von Behörden unterstützt werden.
"Sollte sich herausstellen, dass diese Praxis legal ist, dann muss auf die Geschäftspraxis der Bundesagentur für Arbeit eingewirkt werden. Anderenfalls muss die Bundesregierung das Gesetz so ändern, das so ein unwürdiger Vorfall sich nicht wiederholt. Solch skandalöse Praktiken wie bei Amazon müssen ein für allemal ein Ende haben", kritisierte Minister Schneider abschließend.“
Eines sei
vorweggenommen, diese Praxis ist nach deutschem Recht zulässig. Es ist aber
durchaus zweifelhaft, ob diese Vorgehensweise mit EU-Recht vereinbar ist. Die
Amazon GmbH wird hier mit Millionenbeträgen von dem deutschen Staat
unterstützt. Es handelt sich damit um versteckte Subvention, die das EU-Recht
nicht akzeptiert.
Dass die
jeweiligen Kommunen und deren Jobcenter die Amazon GmbH trotzdem willkommen
heißen, ist leicht nachvollziehbar und hat den Hintergrund, dass die
Arbeitslosenzahlen zum Stichtag geschönt werden sollen. Dies ist insbesondere
in der vorweihnachtlichen Jahreszeit willkommen, weil die Beschäftigten auf dem
Bau wegen des schlechten Wetters keine Arbeit mehr finden.
Darüber
hinaus kann das Arbeitslosengeld gekürzt werden, wenn ein Betroffener nicht bereit ist, die
„Trainingsmaßnahme“ bei der Amazon GmbH
zu absolvieren.
Auch die
Arbeitsbedingungen bei der Amazon GmbH sind zu hinterfragen. Die Beschäftigten
können ihre Pausen von 30 Minuten nicht nutzen. Schon der Gang aus der riesigen
Logistikhalle heraus und wieder zurück zum Arbeitsplatz nimmt mindestens 10
Minuten in Anspruch. Arbeitrechtlich sehr fragwürdig.
Die
Gewerkschaft ver.di berichtet darüber, dass die Tätigkeiten der Beschäftigten über
Handscanner lückenlos überwacht werden. Ältere Arbeitnehmer können die
vorgegebenen Leistungsziele kaum erfüllen.
Dennoch
spricht sich ver.di nicht gegen die Ansiedlung der Amazon GmbH in Hannover aus.
Der Grund ist leicht nachvollziehbar: In Leipzig hat die Gewerkschaft ver.di
durch Amazon zahlreiche neue Mitglieder rekrutieren können.
In Bad Hersfeld und in Leipzig fällt es der Amazon GmbH inzwischen schwer, überhaupt noch Arbeitnehmer vor Ort zu finden, so dass das Personal aus allen Teilen der Republik und dem Ausland über ein Zeitarbeitsunternehmen herangezogen werden muss.
Am 03.01.2012 war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen, das in Hannover im Bereich Logistik, Spedition und Verkehr 2000 Stellen unbesetzt sind; Tendenz steigend.
Des Weiteren beobachte ich seit 3 ½ Monaten die zahlreichen Stellenangebote für Helfer (gering- bis gar nicht qualifizierte Arbeitnehmer) in Hannover auf der Internetseite der Bundesarbeitsargentur. Die meisten von ihnen können offensichtlich nicht besetzt werden, sie sind nach 3 ½ Monaten noch nicht gelöscht worden.
Ich kann daher die Aussage von dem Oberbürgermeister Herrn Weil nicht nachvollziehen, dass Hannover unbedingt Arbeitsplätze für nicht- bzw. gering qualifizierte Arbeitnehmer benötigt und deshalb die Amazon GmbH um jeden Preis angesiedelt werden soll.
Auch in Hannover wird das Problem entstehen, dass die Stadt und die Region nicht die benötigten Arbeitnehmer zur Verfügung stellen können. Aufgrund der schlechten Arbeitsverhältnisse und der Geschäftspolitik bei der Amazon GmbH, werden die ("wenigen") vorhandenen Arbeitnehmer, die (zunächst) bereit sind, bei Amazon zu arbeiten, schnell verschlissen sein.
Es wird auch hier die Situation entstehen, die z. B. in Leipzig oder in Bad Hersfeld zu beobachten ist: Es müssen Arbeitnehmer aus anderen Teilen der Republik und dem benachbarten Ausland "angeheuert" werden. Sollten diese dann wieder - und das ist ebenfalls vorhersehbar - in die Arbeitslosigkeit fallen, werden sie als Harz IV-Empfänger in Hannover bleiben.
Nein, das ist nicht das, was ich mir für meine Stadt (und mag Hannover wirklich sehr) wünsche. Sie?
In Bad Hersfeld und in Leipzig fällt es der Amazon GmbH inzwischen schwer, überhaupt noch Arbeitnehmer vor Ort zu finden, so dass das Personal aus allen Teilen der Republik und dem Ausland über ein Zeitarbeitsunternehmen herangezogen werden muss.
Am 03.01.2012 war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen, das in Hannover im Bereich Logistik, Spedition und Verkehr 2000 Stellen unbesetzt sind; Tendenz steigend.
Des Weiteren beobachte ich seit 3 ½ Monaten die zahlreichen Stellenangebote für Helfer (gering- bis gar nicht qualifizierte Arbeitnehmer) in Hannover auf der Internetseite der Bundesarbeitsargentur. Die meisten von ihnen können offensichtlich nicht besetzt werden, sie sind nach 3 ½ Monaten noch nicht gelöscht worden.
Ich kann daher die Aussage von dem Oberbürgermeister Herrn Weil nicht nachvollziehen, dass Hannover unbedingt Arbeitsplätze für nicht- bzw. gering qualifizierte Arbeitnehmer benötigt und deshalb die Amazon GmbH um jeden Preis angesiedelt werden soll.
Auch in Hannover wird das Problem entstehen, dass die Stadt und die Region nicht die benötigten Arbeitnehmer zur Verfügung stellen können. Aufgrund der schlechten Arbeitsverhältnisse und der Geschäftspolitik bei der Amazon GmbH, werden die ("wenigen") vorhandenen Arbeitnehmer, die (zunächst) bereit sind, bei Amazon zu arbeiten, schnell verschlissen sein.
Es wird auch hier die Situation entstehen, die z. B. in Leipzig oder in Bad Hersfeld zu beobachten ist: Es müssen Arbeitnehmer aus anderen Teilen der Republik und dem benachbarten Ausland "angeheuert" werden. Sollten diese dann wieder - und das ist ebenfalls vorhersehbar - in die Arbeitslosigkeit fallen, werden sie als Harz IV-Empfänger in Hannover bleiben.
Nein, das ist nicht das, was ich mir für meine Stadt (und mag Hannover wirklich sehr) wünsche. Sie?
Auch die
Kirchen, haben zwischenzeitlich deutlich gegen Amazon Stellung bezogen, obwohl es an sich nicht ihre Art ist, sich in solche Angelegeheiten einzumischen. Sie
sehen sich in der Pflicht, für menschenwürdige und gute Arbeit
einzutreten und halten die Arbeitsverhältnisse bei Amazon für ethisch nicht vertretbar.
Hinsichtlich
der Arbeitplätze spielt auch noch folgende Überlegung eine große Rolle: Im
Hinblick auf die benötigte Fläche von über 300.000 qm ist eine Unterbringung von
1.000 dauerhaften Arbeitnehmern und ggf. 1.500 Saisonarbeitern ein trauriger
Flächenverbrauch! (Die Talanxgruppe bringt auf weit weniger Qudratmetern 3.800
Arbeitnehmer unter).
Hinzu kommt, dass laut einem Bericht in dem Magazin Focus die Amazon GmbH ihren Gewinn nicht in Deutschland versteuert, sondern in Luxemburg, wo sich die Europazentrale befindet.
,,Amazon wollte dazu keinen Kommentar abgeben. Ich muss also davon ausgehen, dass da etwas dran ist. Ich werde das weiter verfolgen. Fakt ist, dass Amazon sicherlich weiß, warum es seine Firmenzentrale in Europa gerade nach Luxemburg legt. Fakt ist auch, dass es dem deutschen Fiskus in jedem Fall schwer fallen wird, die Rechnungslegung eines solchen Konzerns zu entschlüsseln, um den genauen Gewinn im Land zu ermitteln.,,Amazon wird in jedem Fall alle Winkel des europäischen Steuerrechts ausnutzen, um so wenig Geld wie möglich im „teuren“ Deutschland zu lassen. Luxemburg ist einfach günstiger.
Hinzu kommt, dass laut einem Bericht in dem Magazin Focus die Amazon GmbH ihren Gewinn nicht in Deutschland versteuert, sondern in Luxemburg, wo sich die Europazentrale befindet.
,,Amazon wollte dazu keinen Kommentar abgeben. Ich muss also davon ausgehen, dass da etwas dran ist. Ich werde das weiter verfolgen. Fakt ist, dass Amazon sicherlich weiß, warum es seine Firmenzentrale in Europa gerade nach Luxemburg legt. Fakt ist auch, dass es dem deutschen Fiskus in jedem Fall schwer fallen wird, die Rechnungslegung eines solchen Konzerns zu entschlüsseln, um den genauen Gewinn im Land zu ermitteln.,,Amazon wird in jedem Fall alle Winkel des europäischen Steuerrechts ausnutzen, um so wenig Geld wie möglich im „teuren“ Deutschland zu lassen. Luxemburg ist einfach günstiger.
Fazit: Mein Anliegen als Anwohnerin ist wichtig für mich, meine Familie, meine Nachbarschaft und für die gesamte Stadt Hannover. Gewichtiger als die zweifelhaften Arbeitsplätze, die Amazon mit sich bringt. Ich brauche also kein schlechtes Gewissen zu haben.
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Lieber Politiker, liebe Politikerin,
mit diesen vernünftigen Argumenten werden Sie nicht als „Arbeitsplatzverweigerer“
dastehen und ruhigen Gewissens gegen die Ansiedlung der Amazon GmbH stimmen
können, wenn Sie das wollen. Zeigen Sie Courage!
Mit freundlichen Grüßen
eine Bürgerin, mit gutem Gewissen,
die ihre Stadt wirklich sehr mag.
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